Sedones 7
Erhart Kästner in Griechenland und auf Kreta 1941 bis 1945
Sedones 7, Mähringen 2006
ISBN 978-3-937108-07-0
134 Seiten
14,80 €
Der Schriftsteller Erhart Kästner (1907-1974) ist bei Griechenland-Liebhabern noch heute äußerst populär. In Rezensionen seines Werkes wird er als "Philhellene" und "Humanist" beschrieben. Kästner trat 1939 der NSDAP bei und meldete sich freiwillig zur Wehrmacht. 1941 erhielt er auf eigenen Wunsch von der deutschen Militärführung in Athen den Auftrag, Griechenlandbücher für die Soldaten zu schreiben. So entstanden die Werke Griechenland und Kreta. Abgesehen von "braunen" und rassistischen Passagen verwundert an diesen Texten vor allem, wie hier ein deutscher Bildungsbürger im Waffenrock der Wehrmacht durch das von Hitlers Truppen verheerte Hellas zieht, von all dem Morden und den Zerstörungen scheinbar nichts mitbekommt und das Land mit seinen antiken Stätten in philhellenischer Begeisterung als Idylle des Friedens und der Schönheit schildert. Auch nach 1945 fand Kästner kein Wort des Bedauerns, kein Wort der Trauer über das unermessliche Leid, das die deutschen Besatzer den Griechen zugefügt haben.
Erhart Kästner: ein Philhellene und Humanist? Arn Strohmeyer geht dem Phänomen nach, wie dieser Autor während des 2. Weltkriegs "sein" ideales Griechenland suchen und dabei die brutale Realität des Krieges so gut wie ausblenden konnte.
„Nun gut, als tollen Hecht, tollen Kämpfer hat sich Erhart Kästner, der Dichter im Waffenrock, wie er von Arn Strohmeyer ins Visier genommen wird, zu keiner Zeit gesehen. Und seine Verdienste als Direktor der Bibliothek Wolfenbüttel, vielfältig gewürdigt, bleiben unbestritten. Zum Widerspruch reizt indessen das Motto 'pax in bello', das er seinem auf das Jahr 1944 gestellten griechischen Inselbuch vorgibt, gleichsam eine Lebensmaxime, die indessen wohl eher eine Lebenslüge, das Kürzel für seine 'Flucht aus der schrecklichen Realität des Tages in eine zeitlose ideale Gegenwelt' gewesen ist. Wobei zum einen klarzustellen war, dass die im Auftrag der Wehrmacht geschriebenen Griechenlandbücher Kästners keineswegs das Ergebnis einer Flucht ins Unpolitische gewesen sind, erwachsen aus der Tradition deutscher Hellasverklärung, und zum anderen, dass er sich danach einer Wahrheitsfindung schlichtweg entzogen hat. Denn 'Kästner erwähnt die Leiden der Griechen mit keinem Wort, er schweigt zu den Verbrechen. Auch ein aufrichtiges Wort der Mitverantwortung und der Mitschuld an dem, was in Griechenland in deutschem Namen von 1941 an geschehen ist, gibt es nicht.' Seine spätere Aussage 'Mir blieb es erspart, unter Mordenden mitmorden zu müssen' kann schlechterdings nicht als Schuldabweisung gelten, wenn man ernst nimmt, wessen er sich rühmte, nämlich: 'Was hier verboten und was erlaubt ist, bestimmen wir!' (Brief vom 22. Juli 1941 aus Athen an Gerhart und Margarete Hauptmann)
Ein Erstarren des Reiters auf seinem Pferd nach dem Ritt überm Bodensee hat bei Kästner offenbar niemals stattgefunden. Im Gegenteil, im Nachhinein hat seine Formel vom Frieden im Krieg überaus verführerisch gewirkt. 'Schweigehilfe' nennt das der 'Weser Kurier'.“
Die Brücke, Forum für antirassistische Politik und Kultur 2/2009
„Gründliche Textanalysen der Kästner-Schilderungen, Biografisches, deutsche Kriegs- und griechische Leidensgeschichte sowie die Ursachen des verqueren Griechenlandbildes in der klassisch-romantischen deutschen ‚Griechenland-Sehnsucht‘ von Winckelmann bis Hölderlin verdichten sich zu einem bemerkenswert eindringlichen Zeugnis von Schuld, deren systematischer Verschleierung, der Täuschung und wohl auch Selbsttäuschung eines deutschen Bildungsbürgers und vorgeblich sensiblen Reiseschriftstellers. (...) Bestürzend sind auch Strohmeyers Belege über die Schamlosigkeit, mit der Kästner Texte aus den beiden Kriegsbüchern, im Ton verändert, in seinen Erfolgsbüchern der 70er Jahre wieder verwendet.“
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Griechenland Zeitung, 13. Dezember 2006
„Zu den vielen, die von diesem neuen Deutschland profitierten, gehörte der angesehene Schriftsteller Erhart Kästner (1904 bis 1974). Zwar war Kästner in der NSDAP (Mitgliedsnummer 7936245) und in der Reichsschrifttumskammer und diente bei der Wehrmacht als ‚Dichter im Waffenrock‘, doch kam er 1947 wunderbarerweise als ‚Antifaschist‘ aus der britischen Gefangenschaft in Ägypten nach Deutschland zurück. 1950 wurde er Leiter der Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel und damit ein mittelbarer Nachfolger Lessings. Dort erwarb er sich große Verdienste und blieb bis an sein Lebensende ein hoch geachteter Autor mit einem weitläufigen Freundeskreis. Die Liebe zum klassischen Griechenland trug ihm beispielsweise die Freundschaft Heideggers ein, der mit ihm nach Griechenland reisen wollte. Das Vorhaben zerschlug sich, doch konnte Kästner Heidegger bereden, sich mit Rudolf Augstein und Georg Wolff zu dem legendären Spiegel-Gespräch zu treffen, um ‚in einer kritischen Darstellung endlich einmal die unsinnigen Verleumdungen vom Tisch zu fegen‘. In Kästners Fall gab es keine Verleumdungen, denn er zeigte ein bemerkenswertes Geschick, sich an die jeweilige Geistesmode anzupassen. Seine Bücher ‚Ölberge, Weinberge‘, ‚Kreta‘ oder ‚Die Lerchenschule‘ werden bis zum heutigen Tag von schwärmerischen Griechenland-Fahrern eingepackt; wer das Land der alten Griechen mit der Seele sucht, findet sich bei Kästner über die neuen getröstet. (...) Der Bibliothekar, den die wirtschaftlichen Verhältnisse der Weimarer Jahre um seine akademische Laufbahn brachten, meldet sich 1939 bei Kriegsausbruch freiwillig und schickt sich, er meint den Eintritt in die NSDAP, ins ‚Unvermeidliche‘. Das mag unvermeidlich gewesen sein, der Nationalsozialismus und vor allem der vom Nationalsozialismus angezettelte Krieg brachten aber auch Vorteile, denn letzterer bildet Kästner zum Schriftsteller: Dichter nicht bloß im Waffenrock, sondern gleich auf Staatskosten. Unter Berufung auf seine humanistische Schulbildung bewirbt sich Kästner als Dolmetscher ins eben von den Deutschen besetzte Griechenland, wo er kaum ein Wort versteht. Im Rahmen der ‚Wehrbetreuung‘ bereist Kästner zusammen mit dem Maler Helmut Kaulbach im Frühsommer 1942 die Stätten des klassischen Griechenland und gibt sich Mühe, von der Gegenwart abzusehen. Anschließend fährt er für ein weiteres Buch über die griechischen Inseln und kann mit Unterstützung seiner Generäle länger auf Kreta bleiben. Dort waren 1941 unter dem klassischen Tarnnamen ‚Merkur‘ deutsche Fallschirmjäger gelandet, dort kam es in 72 Orten zu Exekutionen; nach griechischen Angaben wurden dabei 3474 Menschen getötet. Diese Kriegswirklichkeit, das zeigt Arn Strohmeyer in seinem Buch ‚Dichter im Waffenrock. Erhart Kästner in Griechenland und auf Kreta 1941 bis 1945‘ kommt bei Kästner weder in der Kriegsfassung noch in der Friedensversion seines Buches vor. Seine Kunst- und Antikenfrömmigkeit hilft Kästner über die unwirtliche Gegenwart, das leise murmelnde Gespräch über Götter, Quellen und flüsternde Haine ersetzt jenes leidige über Kriegsverbrechen (...).“
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Süddeutsche Zeitung vom 26./27. August 2006
„Das Buch bietet mehr als Literaturkritik. Es stellt Erhart Kästner in den Kontext der Geschichte Nazi-Deutschlands und, bedeutsamer noch, der Geistesgeschichte des Bildungsbürgertums.“
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Badische Zeitung, Juli 2006
„Erhart Kästner – nicht zu verwechseln mit dem Satiriker und Humoristen Erich Kästner – ist der Autor der Bücher ‚Griechenland. Ein Buch aus dem Kriege‘ (1943), ‚Kreta‘ (1946, 1975) und ‚Ölberge, Weinberge‘ (1974). Geneigten Lesern gilt er als Philhellene und Humanist. Aber kaum jemand kennt die Entstehungsgeschichte dieser Werke Kästners, seine Auftraggeber und den Verwertungszusammenhang seiner Griechenland-Elogen im Zweiten Weltkrieg. Über diese Hintergründe klärt Arn Strohmeyer in seiner kenntnisreichen, gut geschriebenen und analytisch überzeugenden Studie ‚Dichter im Waffenrock‘ auf. Das Buch bietet mehr als eine herkömmliche Literaturkritik. Es stellt Erhart Kästner – und dessen großes Vorbild Gerhart Hauptmann – in den Kontext der Geschichte Nazi-Deutschlands und, bedeutsamer noch, in den größeren Zusammenhang der politikfernen Geistesgeschichte des deutschen Bildungsbürgertums. Die Tradition deutscher Griechenland-Begeisterung, an der sich Erhart Kästner orientierte, wird durch keine geringeren Heroen des Geistes markiert als Goethe, Friedrich Schiller, Friedrich Hölderlin und Johann Heinrich Winckelmann.“
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Weser Kurier / Bremer Nachrichten, Juli 2006
„‚Dichter im Waffenrock', dies ist auch der Titel eines jüngst erschienenen Taschenbuchs des Journalisten und Autors Arn Strohmeyer, der überzeugend über das nationalsozialistische Geschichtsbild, die Rassenideologie und die auf die Denkausrichtung der deutschen Besatzungssoldaten abzielende propagandistische Absicht dieses von einer großen Lesergemeinde verehrten Schriftstellers aufklärt. Den wenigsten Kästner-Fans dürfte bekannt sein, dass er seine beiden ersten Bücher - mit den Titeln ‚Griechenland' (1942) und ‚Kreta' (fertiggestellt 1943, ‚gereinigt' herausgegeben 1946) - im Auftrag der Wehrmacht geschrieben hat und dafür vom eigentlichen Kriegsdienst freigestellt war. Erschreckend ist, dass Kästner von den Verbrechen der Wehrmacht insbesondere auf Kreta gewusst haben muss, weil er zu deren Zeitpunkt dort seine ‚klassisch-romantischen Wanderungen' unternahm, überhaupt nicht aber die Leiden der griechischen Bevölkerung wahrnimmt oder aber Armut und Hunger, verursacht durch die systematischen Raubzüge und Beschlanahmungen durch die Deutschen, auf rassisch begründete ‚Charakterlosigkeit' und ‚Faulheit' der ‚heutigen Griechen' bzw. historischen ‚Schicksals' zurückführt. Bedrückend auch Arn Strohmeyers Belege, wie schamlos Kästner Texte aus diesen seinen Kriegswerken, im Tenor geschickt abgewandelt, in seinen Erfolgsbüchern der 70er Jahre wieder verwendet.“
Ursula Spindler-Niros in Philadelphia Forum, Juni 2006
„Stromeyer ‚begleitet' in seinem Buch Kästner auf der Reise durch Griechenland und Kreta. ‚Klassisches Ideal und rassenbiologisches NS-Geschichtsbild prägten seinen Blick auf Hellas', urteilt Strohmeyer. Ausführliche Zitate aus den damals entstandenen Werken ‚Griechenland' und ‚Kreta' wie Beschreibungen von Orten und Begegnungen setzt Strohmeyer in Zusammenhang mit realen Ereignissen.“
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NeaFon 05/2006